Park, Young-Taik | Eine geheime Welt der Gedanken und Sehnsucht nach wahren Gesichtern
Durchsichtige filigrane Linien, die wie elende, fürchterliche Kratzwunden angeklebten Spuren von Crayon und Acryl, der Eindruck von undeutlichen, unbestimmten Formen, die als sinnliche, herausbrechende Gestalten erscheinen; außerdem Merkmale und Verknüpfungen von Metaphern und Symbolen, die die seelische Tiefe anreizen und verwirren – dies alles macht die Eigentümlichkeit der Kunstwerke von Seong-Hi Kang.
Diese Eigentümlichkeit sickert durch Linienverknüpfungen und -abbrechungen, die so zart und dünn sind, dass sie nur schwach auf der Oberfläche von Papieren gezogen werden, als wenn sie nicht leicht erscheinen wollten, und durch die von diesen Linien geformten sonderbaren Züge heraus. Ähnlich wie die Handschriften von Kindern, die gerade angefangen haben, mit dem Bleistift schreiben zu lernen,und wie von ihnen gemachte Zeichnungen und Gekritzel, sind die schiefen Spuren vor dem einsamen und leeren Hintergrund dünn aber stark durchgezogen, und deshalb machen sie als solche starken Eindruck. Ein solcher Eindruck entsteht weniger durch die von umreißenden Linien gebildeten einfachen Formen, sondern er entsteht und verstärkt sich vielmehr durch die unbestimmten, unklaren Spuren, die mit Hilfe der Linienbewegungen selbst, des natürlichen Ineinandergreifens oder plötzlicher Verknüpfungen von Linien vermehrt werden. Die dünnen durchsichtigen Bleistiftlinien spiegeln die Begierde, die unbeherrscht schwebend die Welt von Unbewusstsein und Vorstellungen, das Gebiet der Phantasie anschaulich machen und dann sich verstreuen. Die Absonderungen dieser Begierde legen sich auf Anstrichen und Mischmasch von Graphit, Crayon und Acryl auf und schweben. In der Tat zeigt ein Bild vor allen Dingen das geheime Bewusstsein, den Seelenzustand und das Gemüt eines Individuums, und in diesem Sinne scheinen die Produkte von Seong-Hi Kang aus selbstbekennendem seelischem Kristall zu bestehen. Blättern wir die Zeichenhefte von der Künstlerin auf, die wie Bildtagebücher dicht gezeichnet sind, so fühlen sich darauf gewisse Verdichtungen, die nur als Bilder zu entziffern sind.
In ihnen sieht man unzählige menschliche Zügen. Diese menschlichen Zügen haben aber teils so außergewöhnliche, wunderliche Gestalten, die eigentlich nicht dazu passen, Menschen genannt zu werden. Sie erscheinen, als wären sie Figuren aus Außenwelten, Tiere, Kaulquappen, Fische, Satyrn, oder die im Fruchtwasser schlafenden Embryos; oder sie erscheinen weder als Männer noch als Frauen, sondern nur als neutral oder bisexuell. Sie sehen auch wie Wilden oder Ungeheuer der Mythologie aus. All diese Gestalten nehmen durch die Phantasie der Künstlerin ihre Platze ein. Dabei existieren jedoch nur ihre Köpfe und Körper, und die Gestalten mit gekrümmten oder übertriebenen Körpern, den zusammengeschrumpften Busen, und kleine Genitalien deuten auf wundersame, zum Teil entsetzliche Stimmung und Situation hin. Sie erinnern zugleich durch ihr Küssen, Berühren, durch ihre Genitalien, ihre Nabelschnüren, durch Saugen an der Brust, und durch ihre Körperkontakte daran, dass sie nach gewissen Beziehungen streben. Der bezielte Punkt des Bewusstseins, das von dem Kontakt mit anderen (einschließlich der Beziehungen mit der Natur, Pflanzen und Tieren) träumt, erweitert sich parallel zu der Verfremdung und Einsamkeit der Künstlerin selbst, die aus ihrer persönlichen Erfahrung und Erinnerung entsteht.
Die tagebuchartigen Bilder, die durch den Automatismus gemalt sind, springen deshalb aus den Räumen ganz persönlicher Erfahrungen und selbstrespektierender Existenz hervor. Die aus dem Kreis persönlicher Erfahrung und Denkens heraufgezogenen bekenntnisartigen Gestalten sind frei, zum Teil geheim, herausbrechend und unbeschönigt. Um so undeutlicher platzieren sie, metaphorisch und symbolisch bekleidet, auf den Bildern und sodann verschwinden sie. Die Bilder der Künstlerin sind von starken Metaphern und Unglückszeichen, deren wahre Gesichter unbekannt sind, geschmückt, und dazwischen treten die seelische Welt des empfindlichen Selbstbewusstseins, das Schwanken des Gemüts, Kulturschock, Verweigerung der Konventionen, Herausforderung an gewöhnliche Vorstellungen und Trägheit und Abenteuerlust.
Die Künstlerin ging in ihrer Jugendzeit nach Deutschland und verbrachte dort ihre Jugend und ihre empfindliche Pubertät; dies muss sie innerlich bezwungen haben, mit der abgebrochen fremd vor ihr stehenden neuen Welt und Menschen zu konfrontieren, sie alle zu erfahren und akzeptieren. Dadurch muss Verfremdung, Einsamkeit, Angst vor anderen Menschen (wegen der Unterschiede von Sprachen, Sitten, Denkweisen und Kulturen und wegen der dadurch entstehenden Konflikte) ihre tiefe Spuren im Inneren der Künstlerin hinterlassen haben. Solche Erfahrungen und Erinnerungen wirken als Motive für die Welt ihrer künstlerischen Tätigkeit, und somit träumen ihre Bilder unaufhörlich von Kontakten mit anderen, und sie gestalten sich daher in der Richtung, die Ergründung des Menschen und der menschlichen Existenz sowie die habsüchtige Neugier aufzulösen. In den Bildern der Künstlerin nun, die von der geistigen Forschung und Reflexion über die Künstlerin umgebende Welt, über die darin existierenden Menschen, ihre Seeln, Kultur und Mytholgie begleitet werden, wuchern überall bekenntnisartige Aussagen. Dies beruht ja auf der Unsicherheit und Unklarheit über ihr eigenes Dasein, und das Bedürfnis, den Menschen richtig zu verstehen, ist nichts anders als das Bedürfnis, sich selbst richtig aufzufassen.
Das Verfremdungsbewusstsein und Konflikt, die die Künstlerin weder als Koreanerin noch als Deutsche, sondern als undeutliche dritte Person, als Fremde und Außenseiterin in sich hat, und die Frage nach ihrem eigenen Selbst veranlassen dazu, dass die Künstlerin in ihren Bildern gerade neutrale Figuren darstellt. Diese Merkmale treten zugleich in den Zeichnungen, Gemälden, männlichen und weiblichen Gestalten, menschlichen und tierischen Gestalten, und in den beiden Polen von Kopf und Brust heraus.
Die diesmal ausgestellten Werke der Künstlerin bestehen hauptsächlich aus Zeichnungen und Acrylbildern. Insbesondere die mit hartem und spitzigem Graphit in den Zeichnungen gezogenen Linien zielen auf eine maximale bildliche Möglichkeit. Solche Linien machen, wie Paul Klee bemerkte, einen „Durchgang” aus. Das ist der einzige Weg, der Ich Selbst mit dieser Aussenwelt und anderen Menschen verknüpft, es ist ja ein Durchgang, wodurch die Gedanken und Phantasie der Künstlerin herausfließen, und gleichzeitig ein Weg, der zu dem Gebiet des Mystischen und Unbewusstseins führt. Jene Linien bilden gleicherweise durch die Handbewegung der Künstlerin innerliche Landschaftsgemälde, die lebendig, automatisch und immer breiter werden. Diese existieren zugleich als ausdrucksvolle Realitäten. Die Linien haben an sich vollständige Gestalten, greifen sich ineinander und ketten sich zusammen wie kriechende Fühler, instinktive Hände und begierige Flossen, und dadurch scheinen sie, als wünschten sie sich sehnlichst, als irgendein Begebnis erfahren zu werden.
Die Acrylbilder gestalten sich auf den Unterlagen, die bereits von neutralen Farben unglücksverheißend und anfeuchtend beschottert sind. Es ist, als ob es entlang der Linien nach Fisch oder Rohem riecht, In den organischen Kontakt der Linien und Farben von Graphit, Crayon, Acryl atmen die Figuren in ihrer autonomen Räumen; besonders die frei gezogenen Linien fließen, indem sie den Fokus des Zuschauers zerstreuen und die Erscheinung der Bedürfnisse, etwas schreiben und sprechen zu wollen, andeuten. Dieser Ausdruck ist gerade ein Hauptmerkmal der Künstlerin Seong-Hi Kang. Dieser Ausdruck ist eine wichtige Aussage über die geheime, empfindliche Welt von Bewusstsein und Unbewusstsein der Künstlerin als einer Person und Frau. Er ist zugleich eine forschende Frage nach ihrer eigenen Natur und ihrem wahren Gesicht als einer in Deutschland aufgezogenen und ausgebildeten Koreanerin.
Die Bilder der Künstlerin, die im Grunde nichts anders als persönliche Tagebücher des sinnlichen Lebens sind, lassen die seelische und körperliche Energie ihrer selbst mittels der Linien als visueller Darstellungsweise reagieren, und sie eigentlich eröffnen eine Möglichkeit des Sprechens. Wir können in den Werken der Künstlerin, in denen sich Ölpinselungen und Zeichnungen einander verschwimmen, abwischen, sich überziehen und aufeinander wirken, sehen, dass die Künstlerin eifrig und aktiv versucht, um zu zeigen, wie sich die Linien, Gestalten und Zeichen in der malerischen Weise effektvoll umwandeln.
Die Bilderunterlagen mit unbunten Farben, die auf diesen Unterlagen auf Pfeilrichtungen hinweisenden Linien, die Starke, Schwäche, das willkürliche Kindliche und Stammeln der Linien, die Weiche und Unreife, wie man sie besonders in der Kindermalerei beobachten kann – diese alle spielen zusammen und geben uns viel Vergnügen bei der Anschauung der Bilder. In diesem Sinne ist die Arbeit der Künstlerin eine Behauptung der Durst nach Naivität oder Natürlichkeit. Solche Ungeschicktheit ähnelt der Kindermalerei, ist aber nicht gleich. Die Ungeschicktheit der Kinder wird als notwendig angesehen, weil sie geschieht, indem die Kinder sich bemühen, die vorhandenen Zeichen zu erlernen, während die Ungeschicktheit der Künstlerin hier eine Gestik ist, die Gewohnheit und Trägheit von bereits vorhandenen Zeichen immer wieder abzuwerfen. So haften an den Bildern der Künstlerin die Spuren ihrer eigenen Bestrebung, von der Zivilisation, rationalem Denken, feinem Sinne, hoher Ausbildung, bzw. von kultureller Bezähmung befreit zu werden, ja überhaupt die Zivilisation zu verweigern. Dies kann aber in gewisser Hinsicht Gefahr laufen, auf eine willkürliche Gestik beschränkt zu bleiben. In jener Bestrebung kann man spüren, dass man im geheimen von dieser Ungeschicktheit und dem naiven Schönheitssinn fasziniert wird, aber man kann zugleich bedauern, dass diese Merkmale selbst als sorgfältig durchgearbeitete Formen des Schönen bestimmt bleiben können. In ihren Werken zeigen sich auch die Spuren der Zeichnungsart des deutschen Neuexpressionismus sowie der Art von Joseph Beuys und auch die Liniengestik in der Art von Cy Twombly, aber es bestehen dazwischen gewisse Unterschiede. Die Bilder der Künstlerin sind voll von Linien und Gestalten, die ihre persönliche Stimmung und ihren seelischen Mechanismus angemessen enthüllen; sie sind voll von der delikaten Stimmung der Farben, die so zurückhaltend erscheinen, dass sie zwar existieren, dennoch gleichzeitig wie abwesend wirken; sie sind voll von Darstellungen Mythischer, kultureller Inhalte, voll vom feministischen Farbton. Somit beweisen die Bilder nachdrücklich, wie groß die Individualität und Originalität der Künstlerin ist und wie frei und instinktvoll sie aufgrund ihrer wunderbaren Eigentümlichkeit malt.
Park, Young-Taik
Kurator des Kum Ho Kunstmuseums / Dozent an der Sung Kyun Kwan Universität und Suwon Universität